Die_Digitalisierung_hat_auch_im_Bereich_der_Bewegung

Der Stall der Zukunft

Die B+M-Kolumne von Ruedi von Niederhäusern

Vor 2 Monaten

Die Stalltür geht auf. Das vertraute Rascheln von Stroh und das Schnauben der Pferde dringen von Weitem an mein Ohr. Doch da ist noch ein weiteres Geräusch – das sanfte Summen von Sensoren und Kameras. Wir schreiben das Jahr 2050, und Technologie und Tierwohl sind inzwischen eng verbunden. Die digitale Revolution hat Einzug gehalten und verändert grundlegend, wie wir unsere Pferde halten. Künstliche Intelligenz und moderne Sensorik ermöglichen es, das Wohlbefinden jedes Tiers rund um die Uhr zu überwachen. Bewegungsprofile, Körpertemperatur, Fresszeiten – die kleinsten Abweichungen werden sofort registriert und gemeldet. Krankheiten können so frühzeitig erkannt und mögliche Störungen eliminiert werden. Ein gesünderes Pferd? Ja. Aber nur, weil wir es naturnah halten. Denn statt in geschlossenen Boxen leben Pferde fast überall auf offenen, luft- und lichtdurchfluteten Flächen und in Gruppen, die ihren natürlichen sozialen Strukturen nachempfunden sind. Die Freiheit, die wir ihnen nicht vollständig geben können, wird so weit wie möglich simuliert – wir sind es dem Pferd schuldig.

Auch die Fütterung hat sich verändert. Pferde sind Dauerfuttersucher und das wird in der Haltung konsequent berücksichtigt. Es ist längst bekannt, dass unser heutiges Raufutter oft zu reichhaltig ist. Eine ideale Pferdeweide sollte extensiv bewirtschaftet werden, mit einer hohen botanischen Vielfalt aus verschiedenen, nährstoffarmen Gräserarten, die gleichzeitig mineralstoffreich sind. Doch auch im Jahr 2050 ist solches Raufutter selten zu finden. Daher ist es entscheidend, die individuelle Raufutterversorgung im Herdenverband zu optimieren – damit jedes Pferd genau das bekommt, was es braucht, ohne dass das soziale Miteinander beim Fressen in der Gruppe verloren geht. Denn eines ist klar: Pferde brauchen nicht viel, aber sie brauchen kontinuierlich Futter. Insbesondere, weil wir auch im Jahr 2050 bewusst eingreifen, um die Reproduktion zu kontrollieren. Dies reduziert ihren Energie- und Proteinbedarf gegenüber der freien Wildbahn deutlich. Sie bekommen weder jedes Jahr ein Fohlen, noch legen Hengste weite Strecken zurück, um sich zu paaren.

Die Automatisierung hat auch im Bereich der Bewegung Einzug gehalten. Das Pferd wird zur Bewegung animiert. Vom Ruhebereich gelangt es über Chip-Identifikation in die Führanlage und anschliessend zum Raufutterbereich. Das Gewicht, der Body Score Index und die persönlichen Vorgaben der Besitzer:in geben vor, wie viel Bewegung es wirklich braucht. Hat es seine Schritt-Kilometer geleistet, öffnet sich der Zugang zum Raufutterbereich. Zeitgesteuerte Futterraufen ergänzen das Gesamtsystem perfekt. Dieser durchdachte Ablauf zeigt, wie nahtlos moderne Stallsysteme heute funktionieren – und wie diese Effizienz alle Bereiche der Pferdehaltung durchdringt. So sind Mistroboter beispielsweise Standard. Und die traditionelle Stroheinstreu wurde durch innovative Materialien wie BIO Waldboden ersetzt. Diese Lösungen sind nicht nur arbeitseffizient, sondern auch ökologisch und wirtschaftlich sinnvoller. Der Einsatz der modernen Technik hat geholfen, den einst bestehenden Fachkräftemangel zu beheben. Gute Mitarbeiter:innen zu finden und zu halten, ist heute dank dem attraktiven Arbeitsumfeld kein Problem mehr.

Was uns aber auch 2050 bleibt, ist die Verantwortung. Pferde bleiben Pferde und wir sind für ihr Wohl zuständig. Sie benötigen ihre Hierarchien und sozialen Strukturen sowie ein an ihre Bedürfnisse angepasstes Haltungs- und Managementsystem. 60 Millionen Jahre Evolutionsgeschichte haben wir auch in der Zukunft nicht ausradiert. Und kein Algorithmus der Welt wird uns diese Verantwortung abnehmen.

Ruedi von niederhäusern

Über Ruedi

Ruedi von Niederhäusern ist eidg. dipl. Meisterlandwirt und war von 1986 bis 2021 in verschiedenen Funktionen im Nationalgestüt in Avenches tätig – u. a. als Betriebsleiter und Forschungsgruppenleiter Pferdezucht und -haltung bei Agroscope. Seit 2021 bringt er seine Expertise mit viel Engagement in die Arbeit für die Kund:innen von B+M ein.