Sie leisteten Pionierarbeit für die Schweiz, indem sie die Arbeitsweise des Low Stress Stockmanship (LSS) 2018 auf dem eigenen Betrieb einführten und dabei die Bud Box nutzen. Welchen Herausforderungen begegneten Lena und Cäsar Bürgi und wie konnten sie das LSS erfolgreich auf ihrem Betrieb umsetzten?
Möchtet Ihr den Leserinnen und Leser euren Betrieb vorstellen?
Cäsar: Wir bewirtschaften einen Bergbetrieb mit 44 ha Land und 10 ha Wald. Auf unserem Betrieb leben rote Angusrinder für die Mutterkuhhaltung, Schweine und Ziegen sowie Pferde und Hühner. Die hofeigenen Produkte verkaufen wir durch Direktvermarktung. Mittlerweile führen Lena und ich, den Betrieb Silberdistel seit 11 Jahren. Wir pflegen eine ambitionierte Tierhaltung und wenden viel Herdenmanagement an, da seit Jahren Zuchtstiere in unserer Mutterkuhherde leben.
Könnt Ihr beschreiben, wie Ihr zum ersten Mal auf das Low Stress Stockmanship Prinzip gestossen (LSS) seid und was Euch dazu bewogen hat, es in Eurer Tierhaltung zu implementieren?
Cäsar: Vor gut neun Jahren fragte uns eine Landwirtin aus Deutschland an, ob sie bei uns einen zweitägigen Kurs zum Low Stress Stockmanship durchführen könne. Dabei gehe es um das Handling mit Rindern und sie suche noch einen Betrieb, auf dem dies möglich sei. Mehr wussten wir nicht, doch wir erlaubten ihr dies. Ich persönlich war überzeugt, als Landwirt in der 4. Generation, den Umgang mit Rindern zu beherrschen. Dennoch wollten Lena und ich uns ein Bild davon machen und schauten zu. Währenddessen musste ich mir eingestehen, dass ich diese Umgangsart mit Rindern, auch nach meiner langjährigen Erfahrung, nicht beherrschte. Der Kurs fand in den Folgejahren wieder bei uns statt und so konnten wir uns ein umfangreiches Bild verschaffen. Richtig angetan von dieser Methode bemerkten wir, dass in unserem Umgang mit Tieren noch Luft nach oben ist und wollten uns selbst darin versuchen.
Inwiefern hat die Philosophie des LSS Eure Beziehung und Arbeit mit den Tieren verändert?
Cäsar: Es gibt im Umgang mit Tieren keine Ausreden, keine Gewalt, keine Angst und keine Hinterlist mehr. Beispielsweise müssen wir nicht mehr ein Tier in den Anhänger bringen und sobald es darinsteht, schnell die Türe schliessen.
Wir achten darauf, dass alle Mitarbeitenden auf dem gleichen Niveau sind und nach diesem Prinzip arbeiten. So stellten wir den gesamten Betrieb nach dem LSS um, wodurch sich auch die Arbeit unter den Menschen verbesserte, professioneller geworden ist und weniger Konflikte auftreten.
„Es zeigt sich in jeder Lebenssituation eine Verbesserung und höhere Effizienz.“
Wie sieht ein typischer Tag in Eurer Tierhaltung unter Anwendung des LSS-Prinzips aus?
Cäsar: Durch den klaren Umgang nehmen die Tiere uns als Autorität wahr, mit der sie keine Kompromisse fordern müssen. Wir hingegen treten ihnen auch mit Respekt gegenüber, dass sie beispielsweise gerne gemeinsam und in Ruhe fressen. Während dem Fressen führen wir keine Behandlungen oder sonstige Untersuchungen am Tier aus. Das wünschen wir uns schliesslich auch, wenn wir am Essen sind.
Welche spezifischen Methoden des LSS haben sich als besonders effektiv in Eurer Praxis erwiesen?
Lena: Es zeigt sich in jeder Lebenssituation eine Verbesserung und höhere Effizienz, da wir das LSS weitestgehend in unseren Umgang integriert haben. Als Resultat dauert das Wägen beispielsweise nur noch 15 Minuten anstatt einen halben Tag.
Cäsar: Die Abläufe erfolgen schneller, sei dies beispielswese das Verladen, die Vorbereitung zur Hoftötung und die Hoftötung selbst. Wir haben uns dem Prinzip angenommen, dass Tiere erst berührt werden, wenn man den restlichen Umgang auch beherrscht. Grundsätzlich werden Berührungen auf das Nötige reduziert und die Tiere werden nicht einfach so gestreichelt.
Wo ist die Bud Box überall anwendbar?
Cäsar: Beim Vereinzeln von Tieren für verschiedene Angelegenheiten, zur Trächtigkeitskontrolle sowie Klauenpflege. Wir nutzen sie aus logistischen Gründen in unserem Stall jedoch nicht für die Hoftötung.
Lena: Aber auch das würde funktionieren meine ich. Die Einrichtung gibt es auch in Schlachthöfen, man muss nur den richtigen Umgang haben und dann ist es einfach. Die Bud Box ist bei jedem Rind anwendbar. Auch mit solchen, die man nicht kennt.
Was hat sich für Euch durch die Anwendung der Bud Box verändert?
Lena: Ich kann alles allein machen und habe keine Angst mehr in Situationen, in denen ich mich manchmal unwohl fühlte und hoffte, dass keiner verletzt wird. Diesen Gedanken gibt es gar nicht mehr. Es ist auch merklich, dass die Tiere nichts mehr einem verbinden. Beispielsweise kann ich mühelos das Kalb für eine Untersuchung oder das Markieren in den Treibgang treiben und die Mutter steht entspannt daneben. Es gibt also keine gefährlichen Situationen mehr. Im Grossen und Ganzen haben wir entspanntere und ruhigere Tiere und sind auch selbst gelassener.
Was ist essenziell für das Gelingen des Bud-Box Systems?
Cäsar: Die Anordnung der Bud Box muss nach Bud Williams aufgebaut sein, weil es genauso einwandfrei funktioniert. Es ist nicht zu empfehlen, Änderungen vorzunehmen. Auch sollte sie blickdicht sein, dass es keine Ablenkung von aussen gibt und es nur um Mensch und Tier geht. Der Treibgang wiederum muss dies nicht sein.
„Durch die Kombination von guter Einrichtung und erlangtem Wissen das Tier in mehr Freiheit entlassen, das möchte ich vermitteln.“
Welche Herausforderungen sind Euch bei der Umsetzung des LSS-Prinzips begegnet, und wie habt Ihr diese überwunden?
Cäsar: Als wir mit der Integration des LSS-Prinzips auf unserem Betrieb begonnen, empfanden wir es wie das Erlernen einer neuen Sprache. Dabei mussten wir uns eingestehen, dass wir den uns wohlbekannten Umgang mit den Tieren, doch nicht frei von Problemen beherrschten.
Lena: So gestaltete sich der Anfang anstrengend und verlangte Durchhaltevermögen und Konsequenz. Das Handling ist nun viel mehr auf einer sachlichen Ebene in Abwesenheit von negativen Emotionen.
Gibt es Bereiche, in denen Ihr Kompromisse eingehen musstet, um das Prinzip in Einklang mit anderen Aspekten Eurer Landwirtschaft zu bringen?
Cäsar: Wir konnten unseren Stall mit wenig Kompromissen fix einrichten. Die Hoftötung ist ein Aspekt, den wir mit der Bud Box nicht kombinierten, da wir einen Kran im Stallinneren haben und dies logistisch einfacher ist. Auch haben wir die Platzierung des Treibgangs und der Bud Box anders machen müssen, da die Fläche es nur so hergibt. Das System ist dennoch nach Bud Williams aufgebaut.
Was möchtet Ihr anderen Tierhalter*innen mit auf den Weg geben, nachdem Ihr die Methode des LSS als Pioniere in der Schweiz seit vielen Jahren anwendet?
Cäsar: Dass sie bei uns einen Kurs machen und bei euch Stalleinrichtungen kaufen (sagt Cäsar grinsend und bringt uns damit alle zum Lachen). Mit der Entwicklung des Tieres mitgehen und durch die Kombination von guter Einrichtung und erlangtem Wissen das Tier in mehr Freiheit entlassen. So kann man auch ehrlich nach aussen sagen, man gehe nicht mehr in abenteuerliche Aktionen hinein, die nachher in einem Spitalaufenthalt enden. Das möchte ich vermitteln.
Lena: Genau. Das braucht es für die Basics.
„Unsere Tiere sind entspannter, ruhiger und wir haben keine Krankenfälle mehr. Das resultiert gesamthaft in mehr Sicherheit, sowohl für das Tier als auch den Menschen.“
Wie haben sich die Gesundheit und das Wohlbefinden Eurer Tiere seit der Umsetzung des LSS-Prinzips verändert?
Lena: Unsere Tiere sind entspannter, ruhiger und wir haben keine Krankenfälle mehr. Die Gesundheit ist viel besser, da wir das einzelne Tier bei Verdacht direkt untersuchen und nicht mehr lange zuwarten. Das resultiert gesamthaft in mehr Sicherheit, sowohl für das Tier als auch den Menschen. Unfälle kamen auch keine mehr vor.
Cäsar: Für die Rinder ist unser Verhalten viel klarer geworden, denn wenn wir in den Stall kommen, wissen sie, dass eindeutige Anweisungen folgen. Sie sind nicht auf Angst, Gewalt und Arglist trainiert, wobei früher brenzliche Situationen vorkamen, in denen man befürchtete, beispielsweise vom Stier angegriffen zu werden. Ich fühle mich sicher im Stall und wir können alles mit unseren Tieren machen, wo wir früher noch Ausreden brachten, dass das Tier etwas nicht könne.
Könnt Ihr spezifische Beispiele oder Erfahrungen teilen, die die Vorteile des LSS-Prinzips veranschaulichen?
Lena: Zuletzt brachte eine Kuh Zwillinge zur Welt und war danach nicht sehr fit. Als ich den Zustand der Kuh am ersten Tag bemerkte, handelte ich sogleich und untersuchte sie im Behandlungsstand. Dies hätte ich früher weiter hinausgeschoben.
Cäsar: Ein krankes Tier, das zu lange auf einem lahmen Bein läuft, leistet weniger. Und je schneller ein krankes Tier wieder fit ist, desto schneller kann es wieder seine Leistung erbringen. In diesem Sinne verzeichnen wir eine Leistungssteigerung.
„Wir wollen das System Bud Box und LSS mehr in die Weite tragen und in der Landwirtschaft die Entwicklung vorantreiben.“
Wie sehen Eure Zukunftspläne aus und inwiefern spielt das LSS-Prinzip eine Rolle in der Weiterentwicklung Eurer Tierhaltung?
Cäsar: Wir wollen so wie jetzt weitermachen, das System Bud Box und LSS mehr in die Weite tragen und in der Landwirtschaft die Entwicklung vorantreiben. Wir möchten die Landwirtschaft fördern, indem wir mit unseren Kursen Wissensvermittlung betreiben, solange Interesse herrscht. Es ist in Überlegung noch ein Fortgeschrittenenseminar anzubieten, um auf fortführende Fragen während der Anwendung einzugehen. Ausserdem ist es für uns ein Spass und Reiz zu merken, wie Tiere Aufgaben lösen können und im Stand sind, mit uns zusammenarbeiten. In diese Richtung werden wir uns persönlich weiterentwickeln.
Wir wollen auch die Zusammenarbeit mit Euch weiter aufnehmen, da ihr die passende Hardware dazu verkaufen könnt und wir die Software mit dem Wissen mitbringen.
Wie kam die Zusammenarbeit mit B+M zustande?
Cäsar: Als wir den Betrieb übernahmen, liessen wir ihn durch Euch einrichten und sind daher schon lange Kunde. Auf Messebesuchen waren wir im regen Austausch mit euch, wodurch ein intensiverer Kontakt entstand. So lernten wir Damian kennen, welcher unseren zweitägigen Kurs absolvierte und anschliessend die Einführung des Produktes Bud Box bei euch initiierte.
Wie sieht der Kurs aus, den Ihr anbietet?
Cäsar: Wir geben alle zwei Jahre zweitägige Intensivkurse, wobei wir von A bis Z alle wichtigen Komponenten vermitteln. Der Kurs findet praxisbezogen statt, an dem morgens die Theorie erklärt und nachmittags die Praxis dazu geübt wird. Am ersten Tag ist das Thema der Umgang mit dem Tier, welcher mit der Herde auf der Weide erlernt wird. Am zweiten Tag handelt es sich um Arbeiten bei engen Verhältnissen im Stall, wie der Bud Box und dem Treibgang selbst.
Gibt es Aspekte des LSS-Prinzips, die Ihr weiter erforschen oder vertiefen möchtet?
Cäsar: Gerade bei den Rindern möchten wir für mögliche Verbesserungen wachsam sein. Auch bei den Schweinen, Ziegen und Hühnern wollen wir einen artenspezifischen Umgang vom LSS ausprobieren.